Katzer Families |
Grumberg (Podlesi)
Seite
2
[zurück
zu Grumberg Seite 1]
Ich bin in Brünn geboren und auch in Brünn aufgewachsen, aber Grumberg hat für mich eine besondere Bedeutung, denn ich verbinde viele schöne Erinnerungen an meine Jugend mit dieser Stadt, die heute Podlesi heißt. Der Grund dafür ist, dass mein Vater, der Professor an der Technischen Hochschule in Brünn war, in Grumberg aufgewachsen ist, mit Grumberg sein ganzes Leben lang eng verbunden war und nach seinem Tod Ende August 1938 auch in Grumberg beerdigt wurde. Er wurde nach seinem Tod zum Ehrenbürger der Stadt Grumberg ernannt. Deshalb hatten wir in Grumberg im Rathaus eine Ferienwohnung und ich habe mit meinen Eltern und meinen Brüdern die Sommer- und die Winterferien regelmäßig in Grumberg verbracht. Ich erinnere mich dabei besonders an die Jahre zwischen 1932, da war ich sechs Jahre alt, bis zur Ausweisung der Grumberger 1946. Aus der Gefangenschaft nach Grumberg zurückgekehrt, wohin meine Mutter aus Brünn geflüchtet war, haben wir zusammen mit allen Grumbergern 1946 von dort die Ausweisung erlebt. Seitdem habe ich immer gezögert, die alte Heimat Brünn und auch Grumberg noch einmal zu besuchen. Ich dachte, dass ich bei einem solchen Besuch die vielen schönen Erinnerungen an meine Jugend nicht wiederfinden kann, nachdem sich alles so stark und meist zu seinem Nachteil verändert haben musste. Auf Drängen meiner Söhne habe ich mich dann doch dazu entschlossen, eine Reise in die alte Heimat zu unternehmen, um alte Erinnerungen wieder zu wecken, aber auch um meinen Söhnen einen Eindruck über das Schicksal der Deutschen in der ehemaligen Tschechoslowakei zu vermitteln.
Nach einem Besuch von Brünn am 2. Mai 2002 waren wir am 3.
Mai 2002, bei herrlichem Wetter, mit einem Mietauto von Brünn
in Richtung Grumberg losgefahren. Unsere Route führte über
Zwittau, Landskron, Rothwasser und Grulich nach Grumberg. Die Straßen
sind heute alle in gutem Zustand und entsprechen fast dem Standard,
den wir in Deutschland gewohnt sind. Die Fahrzeit von Brünn
nach Grulich betrug nur etwa zweieinhalb Stunden. Dort sind wir
auf den Muttergottesberg hinaufgefahren und haben die Muttergotteskirche,
aber auch den Kreuzgang und die "Heilige Stiege" besucht.
Der Muttergottesberg war eines der Ausflugsziele der Wanderungen,
die ich mit meinen Eltern und Brüdern von Grumberg aus unternommen
habe. Der Weg führte uns über die Nordmährerbaude
durch den Wald Richtung Grulich bis zum Muttergottesberg. Entgegen
meiner Erwartung sind alle Gebäude wieder vollkommen hergestellt
und in sehr gutem Zustand. Aus einer Schrifttafel im Kreuzgang
kann man ersehen, dass Grulicher, die heute in Deutschland leben
durch Spenden wesentlich zur Wiederinstandsetzung der Kirche beigetragen
haben. An den vielen Hinweisen in polnischer Sprache kann man erkennen,
dass viele Polen die Wallfahrtskirche besuchen. Die Umgebung der
Kirche hat sich verändert und von den vielen Verkaufsständen,
an denen es Muttergottesstatuen, Ansichtskarten und Zuckerstangen
(Zuckerstarchlen) zu kaufen gab, ist nichts mehr zu sehen. Die
Pilgerherberge mit Wirtshaus ist wie früher vorhanden und
wird auch betrieben. Und die Aussicht auf Grulich und den Spieglitzer
Schneeberg ist so herrlich, wie sie immer war.
Der Ringplatz in Grulich ist wie früher erhalten, auch der Bogengang auf einer Seite des Platzes und die Häuser am Ringplatz sind bis auf wenige Ausnahmen renoviert. Nach einem Mittagessen in einem Gasthaus fuhren wir dann weiter Richtung Hannsdorf. Je näher wir Klein-Mohrau kamen, desto bekannter kam mir die Gegend vor. So fuhren wir zur Bahnstation Klein-Mohrau, die jetzt die Aufschrift "Podlesi" trägt. Das Bahnhofsgebäude wird noch genutzt und die Fahrplananzeige lässt erkennen, dass die Bahnstrecke für regelmäßigen Bahnverkehr genutzt wird. Das Bahnhofsgebäude war allerdings verschlossen und an der Tür war ein Hinweis, dass Fahrkarten im Zug verkauft werden. Wir fuhren weiter bis zum Sägewerk, wo die Straße nach Grumberg abzweigt. Das Sägewerk ist heute noch in Betrieb und ich habe mich an die drei Wochen im Juni 1946 erinnert, an denen ich vor der Ausweisung dort arbeiten musste. Wir fuhren weiter Richtung Grumberg und die Spannung wuchs, was ich wohl dort vorfinden würde, nachdem ich ja das letzte Mal 1946 in Grumberg war. Wir erreichten das auch früher erste Haus an der Straße, an der damals auch das Ortsschild von Grumberg befestigt war, die alte Flachsmühle. Sie wird zur Zeit abgebrochen und die Mauern stehen nur noch zur Hälfte. Dann suchte mein Blick den Mühlteich und die Mühle, aber leider vergeblich. Vom Mühlteich, in dem wir im Sommer trotz niedriger Wassertemperaturen (10 – 12° C) gebadet haben und der bis 3 m tief war, ist nur noch eine leichte, mit Gras bewachsene Mulde zu erkennen und die Gebäude der Mühle sind nicht mehr vorhanden. Der erste Blick auf die Häuser ließ bereits am Ortseingang erkennen, dass viele Häuser abgerissen worden sind und ganze Häuserreihen nicht mehr existieren. Das gilt zum Beispiel für das ganze Hinterstadtel und die Kirchgasse, in der links und rechts der Straße keine Häuser mehr vorhanden sind. Stattdessen sind an anderen Stellen neue Häuser erbaut worden, zweigeschossige Billigbauten aus Betonfertigsteilen, zum Beispiel auf der ehemaligen Brandstätte. Auch am Ringplatz sind die meisten Häuser abgerissen und nur wenige erhalten geblieben. Zu den noch vorhandenen und wieder hergerichteten Häusern, die auch noch bewohnt sind gehört das Haus von Göttlichers und Benders, wie auch das ehemalige Rathaus. Vor dem Rathaus ist die gesamte Fläche mit einer Teerdecke versehen worden, die frühere Wiese dort mit dem großen Baum und der Bank an der Straße ist weg. Es scheint so zu sein, dass die Tschechen die am besten erhaltenen Häuser, soweit sie für die geringe Zahl von tschechischen Einwohnern benötigt wurden, wieder hergerichtet und alle anderen Häuser abgerissen haben. Dadurch ist aber das geschlossene Bild, das der Ringplatz früher geboten hat, verloren gegangen. In den früher vom Ringplatz wegführenden Straßen stehen jeweils nur einige wenige Häuser, so dass auch die frühere Struktur der Straßen und Wege nicht mehr existiert. Die Mariensäule ist noch zu sehen, ebenso das Kriegerdenkmal, aber beides ungepflegt und in erbärmlichem Zustand. Der Park, der früher das Schmuckstück des Fremdenverkehrsortes und der Sommerfrische Grumberg war, ist völlig verwahrlost und verfallen. Der frühere Zaun ist weg, die Wege sind nicht mehr zu erkennen und vom Springbrunnen, der uns im Sommer als Bad gedient hat, ist nur noch der Betonrand vorhanden. Alle Sträucher und großen Bäume sind weg, auch die große Fichte am unteren Ende des Parks, auf die wir als Jungen so gerne hinaufgeklettert sind.
Der Weg führte uns weiter die Kirchgasse hinauf zum Friedhof,
auf dem mein Vater Anfang September 1938 beerdigt wurde und wir
suchten sein Grab. Der Grabstein war nicht mehr vorhanden, kleine
Reste des Marmorsteins, an den ich mich noch erinnere, habe ich
aber gefunden, so dass ich sicher war, das Grab gefunden zu haben.
Es sind nur noch wenige Gräber der früheren deutschen
Bewohner Grumbergs erhalten. In der Nähe des Eingangs zum
Friedhof sind neue Gräber der jetzigen tschechischen Einwohner
angelegt, aber es sind noch nicht sehr viele. Die Friedhofsmauer
ist an mehreren Stellen eingestürzt. Die Kirche war verschlossen,
nicht nur durch die alte Holztür, sondern auch durch eine
abgeschlossene zusätzliche Eisen-Gittertür. Man hat den
Eindruck, dass die Kirche nicht genutzt wird. Wir dachten, wir
könnten im Pfarrhaus den Schlüssel zur Kirche erhalten,
aber dort war niemand aufzutreiben. Das frühere Pfarrgebäude
wird als Gemeindeverwaltung benutzt, wie man aus Anschlägen
an der Tür ersehen konnte. Das gegenüber der Kirche noch
bestehende alte Schulgebäude existiert noch, macht aber einen
verfallenen Eindruck und wird sicher nicht als Schule genutzt.
Natürlich war unser Ziel, auch die Nordmährerbaude aufzusuchen.
Ich erwartete, den früheren Hohlweg vorzufinden, der früher
zum Wasserreservoir hinaufführte, wo sich der Weg verzweigte
und rechts nach Hohenfluss und geradeaus weiter zur Nordmährerbaude
führte. Dieser Weg ist nicht mehr begehbar, er ist völlig
mit Sträuchern und Bäumen zugewachsen und offensichtlich
durch das Überlaufwasser des Reservoirs auch nass und sumpfig.
Wir gingen weiter auf der Straße in Richtung Wald und konnten
nach etwa 100 m einen Weg finden, der rechts über die Wiesen
den Berg hinaufführte. Der Weg verlor sich allerdings nach
einer kurzen Strecke in den Wiesen, aber wir gingen weiter den
Berg hinauf, bis wir den Wald erreichten und eine ca. 60 m breite
Waldschneise erkannten, an deren einer Seite die Installation eines
Skiaufzugs erkennbar war. An dieser Waldschneise orientierten wir
uns, bis wir tatsächlich die Nordmährerbaude erreichten.
Die Nordmährerbaude ist in relativ gutem Zustand und wird
bewirtschaftet, auf der Terrasse vor dem Gebäude stehen Tische
und Stühle und wir konnten in der Sonne sitzend ein Bier trinken.
Der Wirt, ein junger Mann, erzählte uns, dass er aus Mährisch-Schönberg
ist und dass viele Gäste zur Baude kommen, vor allem im Winter,
wo dann der Skiaufzug betrieben wird. Die Zufahrt zur Baude mit
dem Auto ist von Grumberg aus nicht mehr möglich, sondern
von der Straße Grulich-Hannsdorf abzweigend über Hohenfluß.
Wir gingen dann weiter bis zur Dreifaltigkeitskapelle und fanden
sie renoviert und in gutem Zustand. Neue Wegweiser mit Kennzeichnung
der Wanderwege dort zeigen, dass die Tschechen sich um die Entwicklung
des Tourismus bemühen. Am Rückweg versuchten wir den
alten Weg zu finden, der von der Baude nach Grumberg führte,
der aber nur etwa 50 m bis zu der Quelle, aus der die Baude mit
Wasser versorgt wird, begehbar ist. Dann wird der Wald so dicht,
dass man kaum durchkommt und der Weg ist auch nicht mehr erkennbar.
So mussten wir uns wieder zu der Waldschneise durchschlagen und
gingen über die Wiesen ohne Weg nach Grumberg zurück.
Der Aufenthalt in Grumberg hat nur wenige Stunden gedauert, aber in mir viele Erinnerungen an die schönen Ferienmonate geweckt, die ich im Alter von 4 bis 17 Jahren in Grumberg verbracht habe. Viele der gleichaltrigen Jungen in Grumberg waren meine Freunde und ich sprach damals auch den Grumberger Dialekt. Wir haben in den Ferien jeden Tag etwas anderes unternommen, angefangen von Ballspielen, bei schlechtem Wetter Kartenspielen bis zu "Räuber und Schandes". Dabei musste als Versteck für den Räuber der höchste Baum im Park, der Glockenturm der Kirche oder des Rathauses und sogar auch der Kasten der Orgelpfeifen der Orgel in der Kirche herhalten. Meine Freunde, soweit mir ihre Namen heute noch einfallen waren (in der in Grumberg gebräuchlichen Namensnennung) der Kastner Pepi, der Kappel Franz, der Demuth Pepi, der Bender Otto, der Tejkl Ernst, der Klein Erwin und Lois und der Spiller Franz. Wenn wir vor dem Rathaus Völkerball gespielt haben, waren auch schon mal Mädchen dabei, unter anderem die Göttlicher Gerti und Helli und die Grögler Marie.
Ich wünsche mir und hoffe, dass dieser Bericht bei den Grumberger
Lesern auch die Erinnerung an die schöne Jungendzeit in unserer
herrlichen Heimat weckt, unserer Heimat, die wir durch den Krieg
und seine Folgen verloren haben. Die Erinnerung bleibt uns und
kann keinem von uns genommen werden, auch wenn uns der Verlust
unserer Heimat bei einem solchen Besuch wieder bewusst wird.
Bilder: Erhart Meixmer