Katzer Families

Portrait: Rosa Walli, geb. Katzer

Wir danken Kurt Rumpler aus Baden/Wien für dieses Portrait
[Bilder aus dem Leben von Rosa Walli]


Rosa Walli, geb. Katzer, kam am 5. Dezember 1886 in Grulich Nr. 116, Böhmen, als erstes Kind von Franz Josef Katzer und Magdalena Victoria Heider zur Welt. Die Hochzeit der Eltern fand allerdings erst 1892 statt – warum, werden wir wohl nie erfahren.
Die Katzers kommen aus Nieder-Heidisch, Vater Franz Josef, geb. 1864 und Großvater Joachim waren dort Maurer, Urgroßvater Josef war Häusler.
Die Heiders stammten aus Ober-Lipka, Ur-Urgroßvater Franz war Bauer in Steinbach, eine weibliche Seitenlinie, die Wahls, geht ins schlesische, nach Preußisch Herrendorf hinüber.
Rosa folgten nach der Heirat der Eltern noch vier weitere Geschwister nach: 1893 Franz, 1895 Maria, 1898 Anna Theresia und 1900 Josef.
Der Vater führte ein strenges Regiment, besonders mit Rosa. Als ältestes Kind hatte sie im Haushalt viele Pflichten zu übernehmen. Nach beendeter Schulpflicht fand sie in einer Textilfabrik Arbeit als Spulerin. Obwohl sie in Grulich das Heimatrecht besaß, verließ sie ihr Heimatland Böhmen. In Ebenfurth, N.Ö., fand sie Arbeit in einer Fabrik und den Mann fürs Heiraten, den Schuster Josef Walli.
Schwester Maria ging als au-pair-Mädchen in die Schweiz und heiratete später nach England, Bruder Franz fiel im Ersten Weltkrieg in Albanien, Bruder Josef heiratete 1924 Ida Kürbel und Schwester Anna, in Wien als Dienstmädchen beschäftigt, bekam 1924 eine uneheliche Tochter, Anna, die sie zu Hause bei ihren Eltern in Grulich ablieferte, um weiter in Wien ihren Dienst versehen zu können. Bis ca. 1940 arbeitete sie bei Familie Hofrat Katzer (nicht verwandt), im Sommer in Grulich und im Winter in einer vornehmen Villa in Wien-Grinzing.
Gerne besuchte Rosa auch noch ihre Heimat, eine mühsame Reise mit der Eisenbahn bis Mittelwalde, dann per Bus nach Grulich. Eine solche Reise war auch nicht billig, und 1927 wird „von Seiten der Gemeinde Vorstehung Sollenau wahrheitsgemäß bestätigt, daß die hier in Sollenau wohnhafte Frau Rosa Wally kein wie immer geartetes, hier bekanntes Vermögen besitzt, ihre Existenz durch den Verdienst als Hilfsarbeiterin fristet, keine Unterstützung von irgend einer Seite genießt, sich daher im Stande der Dürftigkeit befindet, demnach nicht in der Lage ist, die Kosten für das Visum zur Einreise in die cechosl. Republik zu bestreiten“.
Fünf Kinder kamen zur Welt, die ersten drei starben, die letzten zwei überlebten: Maria, geb. 5.9.1915 und Rosa, geb. 17.8.1921.
Rosa arbeitete von 1908 bis 1914 und von 1924 bis 1932 in der Pottendorfer Spinnerei und Felixdorfer Weberei AG als Weberin, 1934 als Weberin in der Textilwarenindustrie AG in Neudörfl/L. und nebenbei half sie in der Schusterwerkstätte ihres Mannes aus.
Nach dessen Tod, 1935, mußte sie ihren Lebensunterhalt mit Näharbeiten für die Nachbarn, Schuhe doppeln und flicken und mit Arbeit in der Fabrik verdienen.

1929 starb der Vater, 1937 die Mutter Magdalena. Tante Ida schreibt: „Weint mit uns, denn unser liebes, gutes Mutterle ist von uns gegangen. Heute früh war sie sanft hinübergeschlummert. Die letzten 14 Tage waren wohl sehr schlimm. Man konnte sie nicht eine Minute allein lassen. Liebste Rosa, wie viel hat sie an Euch gedacht und immer hat sie gehofft, es wird besser. Jetzt hatte sie doch noch die Wassersucht und die hat sie wohl erdrückt. Es ist gut, daß Annerl all das Schlimme nicht hat müssen mitmachen. So bleibt ihr doch die Großmutter in guter Erinnerung.“
Annerl war zu dieser Zeit für 8 Wochen im Ferienlager in Dänemark, ihre Mutter hatte ihr nichts vom Tod der Großmutter geschrieben, sie mußte es von Fremden erfahren und konnte das Ereignis lange nicht überwinden.

Die politischen Ereignisse werfen ihre Schatten. Rosa schreibt an Bruder Josef: „Lieber Bruder! Jetzt komme ich mit einer Bitte. Es ist vorläufig nicht dringend, aber wir werden es jedenfalls brauchen später. Nämlich den Ariernachweis – daß wir keine jüdischen Großeltern haben. Dazu brauchen wir den Tauf- und Geburtsschein (der ist in einem) der Mutter des Vaters, der Großmutter des Großvaters, den Trauungsschein der Eltern. Also wenn Du so gut sein wolltest und uns diese Dokumente besorgen wolltest. Es wird wahrscheinlich Stempel kosten. Man muß es verlangen zwecks Ariernachweis. Da kommts vielleicht billiger“.

Diesbezüglich hatte man keine Probleme, aber das Fortkommen war mühsam und man mußte sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser halten. Kälte, Hunger und Bombenangriffe galt es zu überstehen. 1945 waren diese endlich überstanden, aber Sollenau lag in der sowjetischen Besatzungszone und täglich wurden am Bahnhof Felixdorf Panzer abgeladen, die am Haus vorbeidonnerten.
In Grulich war man noch schlechter dran, Anna hatte wieder eine kranke Familie zur Pflege, die sie nicht im Stich lassen wollte und verpasste dadurch einen Transport nach Westdeutschland. Mit ihrer Tochter Anni kam sie ins Sammellager und wurde im Viehwaggon nach tagelanger Reise in ein Quarantänelager geschickt und dann zum Ernteeinsatz in die Felder. Endstation war schließlich nach vielen Umwegen Magdeburg. Auch Bruder Josef wurde vertrieben und landete im Westen.

Der Kontakt mit den Geschwistern war intensiv, regelmäßig wurden Briefe gewechselt. Sie schrieb gerne, mit gestochen schöner Handschrift. Oft verfaßte sie kleine Abhandlungen wie „Ein Weihnachtsabend in Grulich“ oder Geschichten in Grulicher Mundart, die sie an Schwester Anna verschickte. Leider sind diese nicht mehr erhalten. Akribisch wurden Briefe, Einnahmen, Ausgaben und Tagesereignisse in einem Schulheft vermerkt. Jedem Brief von Schwester Maria aus London lag eine Pfundnote bei, zu besonderen Feiertagen auch zwei.
In ihrem kleinen Garten hatte sie Beete mit Gemüse und Kräuter angelegt. Mit einem kleinen Handwagen fuhr sie in den gar nicht so nahen Föhrenwald um Brennmaterial. Arbeitsam, bescheiden und die Güte in Person erhielt sie in den sechziger Jahren sogar eine kleine Rente zugestanden: Mein Mann ist vor 25 Jahren gestorben und ich habe nicht mehr geheiratet, hatte auch nie einen Lebensgefährten. Da nach dem neuen Gesetz auch die Frauen, deren Gatte vor 1939 gestorben ist, um eine kleine Rente ansuchen können...“ lautet das Gesuch.

Schwester Maria war am besten situiert und so konnte man daran denken, ein Wiedersehen zu planen. Sie kam mit dem Flugzeug aus London und traf zum ersten Mal nach mehr als sechzig Jahren ihre Schwester. Bei einem weiteren Treffen 1970 kam auch Bruder Josef aus Herbstadt nach Sollenau. Seine Frau Ida verstarb vor 2 Jahren, zwei Monate nach dem Treffen starb auch Josef an Wundstarrkrampf nach einer Operation.
Ende der 1960er Jahre verließ Tochter Rosa mit ihrer Familie die gemeinsame Wohnung und Rosa Walli lebte nun erstmals allein in ihrem Leben, mit über 70 Jahren. Sie konnte sehr gut für sich selbst sorgen, strickte und nähte für Nachbarn und Urenkel, bekochte Enkelkinder, schaufelte Schnee und Kohle, hackte Holz, arbeitete im Garten, schrieb Briefe und Aphorismen: „Lustig Blut und froher Sinn – Fort ist fort, hin ist hin!“; „Willst Du Ruhe, willst du Frieden – Musst Du alle Menschen lieben!“; „Frohes Leben, Hehres Streben, Gesundheit, Glück, Zufriedenheit, Das wünsch ich Dir zu jeder Zeit!“.
Aus ihren Tagebucheintragungen ist eine sehr positive Lebenseinstellung herauszulesen:
5. Dezember 1966: Geburtstag gefeiert. Einen großen Korb mit Lebensmittel, 2 l Wein und ein warmes Nachthemd bekommen. Schad, daß man nicht öfter 80 Jahre alt wird.
4.1.67: Rente erhalten, 80 S Erhöhung, also 1.080,90 S.
14.3.67: Von Frau Sch. für Näharbeit S 35 und 5 Eier erhalten. Strickerei von Fr. F. – mit Fleisch bezahlt.
27.3.67: Im Laufe der Woche fleißig gestrickt und genäht. Habe mein Feiertagsfleisch gratis erhalten von Frau F. Fange das 3. Paar Wollsocken an, weiße. Ist eine schöne Arbeit. Von meinen Kindern schöne Ostergeschenke erhalten.
20.10.67: Heute der erste große Reif, Fenster gefroren, alle Dahlien und Paradeiserkraut erfroren. Ein Stock trug ca. 30 Tomaten. Sind aber nicht alle reif geworden, trotz Zudecken des Nachts. Heut war ein schöner Tag. Hab den Garten abgeräumt, die Dahlienwurzeln ausgegraben.
7.11.67: 30 kg Blech und Eisen verkauft, 3 S erhalten. Einmal gesammelt, nie wieder.
20.11.67: Nach der vorigen Nebelwoche ein schöner Tag. Viel Holz gesägt und gespalten. Starke Kälte in der Nacht. Wasser in den Vasen im Fenster gefroren.
6.12.67: Habe viel Näharbeit, was mich immer freut.
11.12.67: Heut kann man sagen: Ja, ja, ja, der Winter, der ist da. Es schneit seit der Früh recht stark. Hab es schön warm herin und tue fleißig handarbeiten.
31.12.67: Sylvester – Neues Jahr! Feiertage sind nun vorbei, alles ist zufrieden, auch ich.

So hat sie gelebt, bis November 1975, einige Monate hatte sie schon an einer Darmerkrankung bzw. der Bauchspeicheldrüse laboriert. Am 18. November 1975, im 89. Lebensjahr, verstarb Rosa Walli.
Die Letzte der Geschwister Katzer, Maria, starb 1994, fast 99-jährig, in London.